Vom Außenseiter zum etablierten Global Player
Wie Abwasserpump- und Zerkleinerungstechnik made in Essen/Oldb. die Welt erobert

Wenn man in den 80er Jahren den Begriff „Vogelsang-Pumpe“ nutzte, wusste jeder in der Landwirtschaft, dass es sich um Drehkolbenpumpen handelte. Und diese wurden automatisch den innovativen Essenern zugeordnet. Die  Vogelsang-Verdrängerpumpen wurden seinerzeit fast ausschließlich in der Landwirtschaft eingesetzt, bis einige aufgeweckte Mitarbeiter von Kläranlagen auf die kleinen, leistungsstarken Pumpen aufmerksam wurden und der  Siegeszug von Vogelsang-Produkten in der Abwasserbranche in Deutschland und der Welt begann ...

Als Helmut Vogelsang 1970 die elastomerbeschichtete Drehkolbenpumpe erfand, war sein Unternehmen noch sehr stark auf Agrartechnik konzentriert und es gab kaum Berührungspunkte mit der Abwasserreinigung. Erst als einige Bauern ca. 15 Jahre später begannen, Klärschlamm als Dünger zu nutzen, konnten die Kläranlagenbetreiber beobachten, dass die Pumpen an den Fasswagen der Landwirte es ermöglichten, den viskosen Klärschlamm auch durch leere Schläuche und Rohre anzusaugen. Mit den damals in Kläranlagen üblichen Kreiselpumpen und Exzenterschneckenpumpen wäre das unmöglich gewesen. Dass die Vogelsang-Pumpe überdies sehr wenig Platz beansprucht und die Förderrichtung wechseln kann, überzeugte erste Kläranlagenbetreiber davon, sie als mobile Pumpeinheit einzusetzen. Schließlich sind aus menschlichen Fäkalien bestehende Schlämme der in der Landwirtschaft anfallenden Gülle, den Fäkalien von Nutztieren, sehr ähnlich.

Aufseiten von Vogelsang galt es lediglich, einen Unterschied zu bedenken: nämlich, dass Pumpen in Kläranlagen deutlich mehr Betriebsstunden leisten mussten als in der Landwirtschaft. Darauf war die Standard-Dichtung nicht ausgelegt. Die Lösung? Eine ölgeschmierte Gleitringdichtung, die 1987 mit der sogenannten I-Serie für industrielle Applikationen auf den Markt kam. Damit hatte Vogelsang auch dieser Branche eine den bisher genutzten Pumpen überlegene Alternative anzubieten und die  Abwassertechnik begann, sich neben der Landwirtschaft zu einem zweiten Standbein des Unternehmens zu entwickeln.

90er Jahre: stürmische Entwicklung

In den 90er Jahren folgten in rascher Abfolge gleich mehrere Entwicklungen und Produkte – auch weil Hochschulabsolvent Hugo Vogelsang nach seinem Eintritt in das Unternehmen Produktionsprozesse und die F&E modernisierte. Auch die aus der Zusammenarbeit mit den Kunden gewonnenen Erkenntnisse brachten die Vogelsang-Techniker auf neue Gedanken. Zum Beispiel raubten die aufwendigen Wartungsarbeiten an den bisher eingesetzten Pumpen Kläranlagenbetreibern viel Zeit, da sie für den Teilewechsel komplett ausgebaut und zerlegt werden mussten. Mit dem von Vogelsang 1994 erstmals eingeführten QuickService-Prinzip konnten von nun an Wartungsarbeiten an Vogelsang-Pumpen an Ort und Stelle und ganz ohne Ausbau der Pumpe ausgeführt werden. Der Aufwand beim Verschleißteilwechsel sank von bis zu einem Tag auf eine knappe Stunde – ein revolutionärer Ansatz, mit dem Vogelsang tausende Kunden für sich gewann.

Abwasserexperten für die kompetente Kundenberatung

Mit der Ausdehnung der Kundenkreise und Anwendungsmöglichkeiten von und für Vogelsang-Pumpen stieg auch der Beratungsbedarf. Immer mehr Anlagenbetreiber und Ingenieur-Büros stellten immer komplexere Fragen, die nur von Experten mit der entsprechenden Branchenkenntnis beantwortet werden konnten. Um dem Bedarf entgegenzukommen, begann man bei Vogelsang 1994 auch schon mit dem Aufbau eines eigenständigen Vertriebs-Teams mit Abwasser-Know-how.

Ein neuer Typ Nasszerkleinerer begeisterte die Abwasserpraktiker

Ein weiteres Feld, in dem sich Landwirtschaft und Abwasserbetriebe nicht unähnlich sind, ist die Zerkleinerung. Mit dem ursprünglich für den Schutz von Pumpen in der Landwirtschaft entwickelten, neuen RotaCut-Nasszerkleinerer stellte Vogelsang 1992 einen völlig neuen Ansatz für ein weit verbreitetes Problem vor: Störstoffe wie Folienreste oder Holzstücke brachten landwirtschaftlich genutzte Pumpen zum Stillstand. Im Bereich Abwasser sind es wesentlich kleinere, feinere Störstoffe, darunter Q-Tips (Wattestäbchen), Haare, Hygieneartikel und Textilien, die den Durchfluss stören. Der mit einem hydraulisch angetriebenen Schneidwerk und einem Schwergutabscheider versehene RotaCut zerkleinerte diese schwimmenden Störstoffe mit noch nie dagewesener Zuverlässigkeit und war den vielerorts eingesetzten sogenannten Mazeratoren damit deutlich überlegen.

Und das nicht nur, weil er besser dazu beitrug, Verzopfungen und Schwimmdecken im Faulturm zu verhindern, sondern auch, weil die Schlammeindickung und -entwässerung mit dem RotaCut einfacher und besser funktionierte. Eventuelle Service- und Wartungsarbeiten konnten damals wie heute vor Ort vom eigenen Personal durchgeführt werden: Nach Hochklappen des Schneidkopfes waren Schneidsieb und Schneidmesser frei zugänglich. Die Schneideinheiten der Mazeratoren dagegen mussten für die Reparatur ausgebaut und oft sogar eingesandt werden. Bis man sie wieder einsetzen konnte, sind oftmals mehrere Wochen vergangen.

Nur zwei Dinge störten bei dem Einsatz des RotaCut-Zerkleinerers in Kläranlagen: das zusätzlich erforderliche Hydraulikaggregat und der große Zyklon-Schwergutabscheider, der zwar sehr gut funktionierte, aber umständlich einzubauen war. 1994 führte Vogelsang deshalb den mit einem Getriebemotor versehenen RotaCut Inline ein. Dank seines schlanken Aufbaus mit sich direkt gegenüberliegendem Ein- und Auslass kann seither an Stelle eines kurzen, geraden Stücks Rohrleitung ein RotaCut installiert werden. Damit war der Startschuss für eine sehr erfolgreiche Entwicklung gefallen. Heute wird das Konzept des RotaCut von vielen Akteuren als „State of the Art“ für die Aufbereitung von Schlämmen anerkannt.

Ein Meilenstein für Drehkolbenpumpen: der HiFlo-Drehkolben

Schon zwei Jahre später lösten die Vogelsang-Entwickler ein weiteres branchenübergreifendes Problem mit der Pumptechnik und revolutionierten damit den Markt der Drehkolbenpumpen. Wo man zuvor Kompensatoren einsetzen musste, um die charakteristische Pulsation der Pumpen auszugleichen, verhinderten ab sofort die neuen HiFlo-Drehkolben von Vogelsang Vibrationen der Leitung.

An der Idee, den Kolben eine in sich gewundene Form zu verleihen, damit sich die Förderräume der Pumpe langsam öffnen und schließen und somit Druckstöße vermieden werden, hatten die Erfinder schon lange gearbeitet. Die wirtschaftliche Fertigung dieser Kolben mit den technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit war eine besondere Herausforderung, welche mit Investitionen in hochmoderne Maschinentechnik gemeistert wurde. Ein Geniestreich, denn hinsichtlich ihrer Laufruhe standen die neuen pulsationsfrei laufenden HiFlo-Drehkolbenpumpen mit ihrer schwingungs- und vibrationsarmen Förderung den zuvor als ruhiger geltenden Exzenterschneckenpumpen in nichts mehr nach.

Und Vogelsang reizt die Möglichkeiten weiter aus: Mit der aktuellen Kolbenvariante HiFloplus wird eine Laufruhe erreicht, wie man sie sonst nur von Kreiselpumpen kennt.

So gerüstet fiel es dem Unternehmen leicht, seine Stellung im deutschen Abwassermarkt auszubauen. Zudem trieb der 1997 ins Unternehmen eingetretene Harald Vogelsang internationale Aktivitäten voran und legte den Grundstein für die schnelle Gründung und den raschen Ausbau internationaler Tochtergesellschaften. Als Erstes wurden Niederlassungen in den USA sowie in UK, Frankreich und Italien gegründet. Mittlerweile bestehen eigene Gesellschaften und Mitarbeiterteams in über 25 Ländern.

In dieser Zeit begann man auch mit der Entwicklung eines automatischen Messer-Nachstellsystems für den mittlerweile in Kläranlagen bestens etablierten RotaCut. Das manuelle Nachstellen der Vorspannung für die Schneidmesser nimmt zwar nicht viel Zeit in Anspruch, das 1999 von Vogelsang vorgestellte System Automatic Cut Control (ACC) entlastet vor allem die Betreiber von unbemannten Kläranlagen dennoch stark. Schließlich entfällt nicht nur der Arbeitseinsatz am RotaCut selbst, die Maschine und alle mit ihr in Verbindung stehenden Komponenten müssen nicht einmal mehr abgeschaltet werden.

Eine Lösung für Feuchttücherprobleme

Entwicklungsabteilung von Vogelsang zudem mit der Konstruktion eines Zweiwellen-Zerkleinerers als Alternative zum RotaCut. Einer Maschine, die es Biogasanlagenbetreibern und der Lebensmittelindustrie ermöglichen sollte, gröberes Material auf wirtschaftliche Weise zu zerkleinern – z. B. Obst und Gemüse oder Schlachtabfälle.

Seitdem basiert die Leistungsstärke des XRipper auf gegenläufigen Zahnwalzen – ineinandergreifende, berührungslos laufende Ripper-Rotoren, die Dünnflüssiges weitestgehend ungehindert passieren lassen, während Fest- und Störstoffe rigoros auf eine unproblematische Größe zerkleinert werden. Eine Eigenschaft, mit der Vogelsang in späteren Jahren auch im Abwassersegment warb, denn die Branche kämpfte aufgrund der wachsenden Beliebtheit von Feuchttüchern zunehmend mit Verstopfungen und Verzopfungen in Kanälen und Pumpen. Im Gegensatz zu Toilettenpapier lösen sich die aus reißfestem Vlies bestehenden Tücher nämlich nicht auf. Trotzdem kennzeichnen einige Hersteller sie als spülbar bzw. weisen nicht aus, dass sie im Hausmüll zu entsorgen sind.

Der XRipper erwies sich sehr bald als effektive Lösung für die Zerkleinerung von im Abwasser enthaltenen Störstoffen dieser Art, sodass Vogelsang auf der IFAT 2014 erstmals sogar extra für den Einsatz in der Kanalisation entwickelte Varianten des XRipper präsentierte: eine platzsparende Inline-Variante für die Installation in engen Schächten und Pumpstationen, den XRipper Pipeline (XRP), und den XRipper XRC für den Einbau in offenen Abwasserkanälen bzw. vor Ein- oder Zuläufen in Schächten und Gruben. Wie schon die Pumpen folgen auch diese XRipper dem Quick-Service-Prinzip. So können Motor, Getriebe, Dichtungen und Ripper-Rotoren des XRipper Pipeline (XRP) als Ganzes nach oben entnommen werden, während der Maschinenkörper fest in der Rohrleitung verschraubt bleibt. Der XRipper XRC wird einfach mittels eines Schienensystems, des sogenannten Sewer Integration Kit (SIK), komplett aus dem Kanal bzw. aus dem Schacht / der Grube gehoben, anstatt  einen Mitarbeiter zum Zerkleinerer hinunter in den Schacht zu schicken.

Aufgrund des großen Erfolgs der beiden Bauvarianten wurde die XRipper-Familie 2018 um den XRipper XRG erweitert. Mit Durchflussraten von über 3.000 m3/h ein wahrer Gigant dank der an beiden Seiten hinzugefügten High Capacity Units. Diese lassen Abwasser in großen Mengen passieren, während die darin enthaltenen Störstoffe und der darin enthaltene Unrat von zwei Freiräumern zu den Ripper-Rotoren gefördert werden. Auch der XRipper XRG ist so konstruiert, dass die gesamte Funktionseinheit nach oben entnommen werden kann, um Wartungs- und Servicearbeiten durchzuführen. Tausende Kunden vertrauen inzwischen dem XRipper und machen sich die Servicefreundlichkeit zunutze.

Desintegration: ein Schritt in eine neue Dimension

Zwischendurch fand noch eine ganz andere Technologie Einzug in das Vogelsang-Portfolio: das elektrokinetische Desintegrationsverfahren BioCrack für die Zerkleinerung von Zusammenballungen toter organischer Materie und Bakterien auf  mikroskopischer Ebene. Indem das Medium ein Hochspannungsfeld mit mehreren 10.000 Volt durchfließt, werden die darin enthaltenen Nährstoffe für die fermentierenden Bakterien deutlich einfacher zugänglich, der Abbau der organischen Bestandteile verbessert sich und der Gasertrag eines Faulturms steigt. Bei Einsatz in Kläranlagen ohne anaerobe Schlammstabilisierung verringert sich dank der reduzierten Viskosität des Schlamms der Energiebedarf für die Belüftung – ein üblicherweise großer Kostenfaktor, sodass selbst kleine Verbesserungen große Einsparungen bedeuten. Ein weiteres Plus für den BioCrack ist die einfachere Entwässerung des übrigbleibenden Klärschlamms, sodass weniger davon entsorgt werden muss.

Was das kostet? Im Vergleich zu anderen Desintegrationsverfahren ist der BioCrack günstiger in der Anschaffung und im laufenden Betrieb, wodurch sich die Investition schnell amortisiert.

Das Prinzip der Drehkolbenpumpe neu erfunden

Nachdem Vogelsang bereits tausende Drehkolbenpumpen mit HiFlo-Kolben u. a. an Kunden im Abwassersegment verkauft hat, stellt die Einführung der innovativen Vogelsang-IQ-Serie im Jahr 2012 einen weiteren Meilenstein in der Geschichte der  Drehkolbenpumpe dar. Mit der neuartigen Konstruktion halbierten die Vogelsang-Konstrukteure die Anzahl der zentralen Ersatzteile. Eine drastische Ersparnis hinsichtlich Kosten und Aufwand, da auch der Austausch sämtlicher Verschleißteile der Pumpenkammer im Vergleich zu marktgängigen Drehkolbenpumpen nur die Hälfte der Zeit in Anspruch nimmt. Der Zugriff auf Kolben, Schutzplatten und Dichtung ist sehr viel direkter und selbst für den Wechsel des Gehäuses der Pumpenkammern muss die Rohrleitung nicht demontiert werden. Darüber hinaus lassen sich IQ-Pumpen einfach und schnell entleeren, Kunden aus dem Abwassersegment profitieren von den variablen Anschlussteilen, die es ermöglichen, die Pumpen ohne große Modifikationen am System in den unterschiedlichsten Positionen einzubauen.

Wünsche verstehen, mitdenken und Innovationen einbringen

Ganz nach dem Motto „Leading in Technology“ ist es für Vogelsang selbstverständlich, seine Maschinen aus der Sicht der Kunden zu betrachten und ihre Bedürfnisse in die kontinuierliche Forschung und Entwicklung mit einzubringen. Kundenorientierung ist unser Schlüssel zur Marktführerschaft und der Grund dafür, dass unsere Pump-, Zerkleinerungs- und Desintegrationstechnik im Abwassersegment weltweit so gefragt ist. Selbstverständlich reagieren wir deshalb auch auf die Anforderungen der  Abwasser-4.0-Thematik und bieten für jede unserer innovativen Maschinen die entsprechende Steuerungstechnik und Software mit an. Sei es als Stand-alone-Lösung oder in einem Netzwerk mit weiteren Komponenten.

„Innovation ist seit der Gründung unser Antrieb.
Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Ideen und Produkten macht unseren Erfolg aus.“

Harald Vogelsang